Seltene Erkrankungen betreffen in acht von zehn Fällen Kinder und Jugendliche. Ihre Teilhabe am medizinischen Fortschritt hängt daher ganz entscheidend von engagierten Pädiaterinnen und Pädiatern ab, die sich dem Spagat zwischen Krankenbett und Labor mit Hingabe stellen. Um forschende Kinderärztinnen und -ärzte auf diese anspruchsvolle Aufgabe vorzubereiten und ihnen die nötigen Freiräume für wissenschaftliches Arbeiten auf hohem Niveau zu verschaffen, setzt das von der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung initiierte Forschungsnetzwerk Alliance4Rare unter anderem auch auf strukturierte Clinician und Medical Scientist Programme (CS4RARE). Diese ermöglichen den Teilnehmenden geschützte Forschungszeiten, in denen sie von klinischen Aufgaben freigestellt wissenschaftliche Projekte zu Seltenen Erkrankungen vorantreiben können.
Liebe Frau Dr. Körholz, Sie sind Clinician Scientist im Forschungsnetzwerk Alliance4Rare. Was hat Sie motiviert, diesen besonderen Weg in Wissenschaft und Klinik einzuschlagen?
Schon während meines praktischen Jahres hat mich die Vielseitigkeit der Pädiatrie fasziniert, insbesondere die zahlreichen Seltenen Erkrankungen, auf die man in einer Uniklinik trifft. Meine Weiterbildung in der Pädiatrie habe ich deshalb im Zentrum für Seltene Erkrankungen und in der pädiatrischen Immunologie begonnen. An letzterer hat mich besonders die Verbindung von klinischer Arbeit und Grundlagenforschung begeistert: das sogenannte „Bedside-to-Bench“-Prinzip. Die unabdingbare detaillierte Anamneseerhebung und klinische Untersuchung, sowie individuelle funktionelle Laboranalysen und nicht zuletzt die genetische Diagnostik helfen, „Lücken“ im Immunsystem einzelner Patientinnen und Patienten besser zu verstehen. Durch die Fehlfunktion einzelner am Immunsystem beteiligter Proteine versteht man schlussendlich auch deren Funktion im gesunden Menschen besser.
Gerade in der Immunologie ist die enge Zusammenarbeit zwischen Labor und Klinik entscheidend. Sie ermöglicht es, funktionelle Tests individuell auf die „Lücken“ im Immunsystem unserer Patientinnen und Patienten zuzuschneiden und so Wege zu zielgerichteten Therapiestrategien zu eröffnen. Ich wollte die immunologische Forschung nicht nur verstehen, sondern auch selbst aktiv anwenden, um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze zu entwickeln.
Woran arbeiten Sie derzeit und was möchten Sie im Bereich der Seltenen Erkrankungen erreichen?
Das Spektrum meiner immunologischen Forschung ist sehr vielfältig. Es reicht von der Analyse pränataler Einflüsse auf die Thymusreifung über die Mitarbeit in verschiedenen europäischen Registern und Medikamentenstudien (Orphan Drugs) bis hin zur detaillierten Untersuchung spezifischer monogenetischer Immundefekte. Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht derzeit die weitere Charakterisierung der SOCS1-Insuffizienz. Dabei handelt es sich um einen monogenetischen Immundefekt, der sich vor allem durch Immundysregulation äußert und beispielsweise als Systemischer Lupus Erythematodes (SLE) in Erscheinung treten kann.
Das SOCS1-Protein spielt eine zentrale Rolle in zahlreichen intrazellulären Signalwegen. Ein Defekt dieses Proteins kann daher nicht nur vielfältige Fehlregulationen des Immunsystems hervorrufen, sondern bietet zugleich auch zahlreiche Ansatzpunkte für gezielte therapeutische Interventionen. SOCS1-Insuffizienz ist ein autosomal-dominanter Immundefekt mit variabler Penetranz, der vermutlich häufig unterdiagnostiziert bleibt. Betroffene finden sich wahrscheinlich in unterschiedlichen Fachbereichen wie Dermatologie, Rheumatologie oder Gastroenterologie. Mein Ziel ist es, ein Bewusstsein für angeborene Immundefekte bei Patientinnen und Patienten mit Immundysregulation zu schaffen. Gleichzeitig liegt mir die individuelle Analyse der Krankheitsbilder und -prozesse am Herzen, um maßgeschneiderte Therapiestrategien zu entwickeln. Darüber hinaus könnten sich diese Erkenntnisse langfristig auch auf andere immunologische Prozesse – wie etwa die Krebsentstehung – übertragen lassen.
Unsere Patientinnen und Patienten sind nicht nur Empfänger von medizinischer Versorgung, sondern auch wertvolle Lehrmeister. Wir lernen von ihnen, um die Medizin von morgen aktiv mitzugestalten.
Welche Möglichkeiten eröffnet Ihnen die Förderung durch die Alliance4Rare in Ihrer täglichen Arbeit, die Sie sonst nicht hätten?
Durch die Förderung erhalte ich eine 50-prozentige Freistellung, die ich vielseitig nutzen werde. Zum einen ermöglicht sie mir, meine Laborforschung parallel zur klinischen Arbeit voranzutreiben. Zum anderen plane ich, die Zeit kumulativ für einen Forschungsaufenthalt in einem renommierten Immunologielabor in den USA (NIH) zu nutzen. Dieser interdisziplinäre und interkontinentale Austausch ermöglicht es mir, neue Labormethoden und -techniken zu erlernen, die für die Erforschung bislang wenig verstandener Komponenten des Immunsystems essenziell sind. Gleichzeitig bietet mir der Aufenthalt die Möglichkeit, mein eigenes Forschungsprojekt entscheidend weiterzuentwickeln.
Darüber hinaus eröffnet die Zusammenarbeit mit der Alliance for Rare wichtige Möglichkeiten zur Vernetzung. Der Austausch mit anderen Clinician Scientists über Institutionsgrenzen hinweg ist nicht nur inspirierend, sondern auch ein zentraler Baustein für den Fortschritt in der Erforschung Seltener Erkrankungen.
Dr. Julia Körholz stammt aus Düsseldorf und ist in Leipzig aufgewachsen. Sie hat an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Technischen Universität Dresden Humanmedizin studiert. Im Rahmen einer experimentellen Doktorarbeit hat sie sich am Centrum für Regenerative Therapien Dresden mit der Frage befasst, wie und warum Individuen unterschiedlich stark auf positive Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren. Seit 2019 widmet sich Dr. Julia Körholz als Ärztin in Weiterbildung an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Dresden der klinischen und wissenschaftlichen Arbeit in der pädiatrischen Immunologie. 2024 hat sie die Aufgabe der Anchor Clinician Scientist der Alliance4Rare am UK Dresden übernommen.