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Forschung

„Genetische Selbsthilfe“ gezielt aktivieren: Eva Luise Köhler Forschungspreis würdigt innovativen Therapieansatz für Duchenne-Muskeldystrophie

Auszeichnung eines richtungsweisenden Projekts von Prof. Dr. Didier Stainier, Dr. Christopher Dooley und Lara Falcucci (Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung) zur therapeutischen Nutzung transkriptioneller Adaptation – Anerkennungspreis für innovative Diagnostik neuromuskulärer Erkrankungen an Dr. Isabell Cordts (TU München) und Prof. Dr. Thomas Klopstock (LMU München)

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Eva Luise Köhler Forschungspreisträger 2025: Prof. Dr. Didier Stainier (2.v.r.), Dr. Christopher Dooley (3.v.l.) und Doktorandin Lara Falcucci (4.v.l.) vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim, (c) Andrea Katheder

In einer feierlichen Zeremonie hat Eva Luise Köhler am 20. Juni 2025 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften den 17. Eva Luise Köhler Forschungspreis für Seltene Erkrankungen verliehen. Vor rund 200 Gästen wurden Prof. Dr. Didier Stainier, Dr. Christopher Dooley und Lara Falcucci vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim für ihre international beachtete Forschung zur „transkriptionellen Adaptation“ ausgezeichnet. Ihre Entdeckung: Ein körpereigener genetischer Schutzmechanismus kann gezielt therapeutisch genutzt werden, um den Ausfall krankheitsrelevanter Gene zu kompensieren. Die Erkenntnis, dass mRNA-Fragmente aktiv zur Regulation anderer Gene beitragen können, stellt eine paradigmatische Erweiterung des Verständnisses genetischer Prozesse dar. Das ist ein möglicher Meilenstein für Menschen mit der bislang unheilbaren Duchenne-Muskeldystrophie.

Dr. Ulrike Köhler

„Alles Leben ist Probleme lösen“

Mit einem sehr persönlichen Beitrag erinnerte Stiftungsrätin Dr. Ulrike Köhler zu Beginn der Veranstaltung an ihren Vater, den im Februar verstorbenen Bundespräsidenten a.D. Horst Köhler. Mit dem von ihm oft zitierten Satz Karl Poppers „Alles Leben ist Probleme lösen“ würdigte sie sein nachhaltiges Engagement auch für Menschen mit Seltenen Erkrankungen: „Ohne das Fundament, das mein Vater gelegt hat, könnten wir heute nicht zum 17. Mal den Forschungspreis vergeben.“ Auch ihrer Mutter dankte sie für deren unermüdlichen Einsatz für Menschen mit Seltenen Erkrankungen: „Du kämpfst mit Beharrlichkeit, Empathie, Charme und dem Durchhaltevermögen einer Langstreckenläuferin für die so notwendige Forschung.“

Paradigmenwechsel in der Therapie Seltener Erkrankungen

Der prämierte Forschungsansatz des Teams um Didier Stainier basiert auf der Entdeckung, dass bei genetischen Defekten bestimmte mRNA-Fragmente den Körper dazu anregen können, funktionell ähnliche Gene zu aktivieren. In ihrem aktuellen Projekt konnten die Forschenden diesen Mechanismus erstmals in menschlichen Zellen bei Patientinnen und Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) nachweisen. Dabei wird das strukturell verwandte Gen Utrophin aktiviert, das den Verlust des Dystrophin-Proteins teilweise ausgleichen kann – ein möglicher Durchbruch für die Therapie dieser bislang unheilbaren Muskelkrankheit und eine potentielle Perspektive für viele weitere.

„Der gezielte Einsatz körpereigener Kompensationsmechanismen eröffnet neue Wege dort, wo bisherige Therapien an ihre Grenzen stoßen“, erklärte Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich, Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung, in ihrer Laudatio. Sie würdigte dabei nicht nur die visionäre Grundlagenarbeit mit hoher klinischer Relevanz, sondern auch die besondere Qualität der Zusammenarbeit im ausgezeichneten Forschungsteam: „Ein renommierter Wissenschaftler, ein erfahrener Senior Postdoc und eine junge Nachwuchswissenschaftlerin, die sich mutig eingebracht hat und – wie es im Englischen so treffend heißt – empowered wird. So gestaltet sich erfolgreiche Forschung: in kollegialer Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Das ist Forschung im Sinne unserer Stiftung.“

Professor Josef Hecken, G-BA

Mut machen durch Forschung

In seiner Keynote hob Professor Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, hervor, wie wichtig es ist, strukturelle Hürden zu überwinden, um exzellente Forschung in konkrete Versorgung zu überführen: „Wir müssen die Verfahren so gestalten, dass Innovationen schneller bei den Menschen ankommen – gerade bei denjenigen, für die es bislang keine Optionen gibt.“ Er betonte insbesondere die Rolle der Zentren für Seltene Erkrankungen als koordinierende Knotenpunkte, die Forschung, Diagnostik und Therapie sinnvoll miteinander vernetzen. Ihre strukturelle Stärkung – durch klare Zugangswege, verlässliche Finanzierung und digitale Vernetzung – sei entscheidend, um Versorgungslücken zu schließen und Innovationen wirksam in der Praxis zu verankern. Deutschland wurde mit 36 etablierten Zentren und Modellen wie TRANSLATE-NAMSE eine tragfähige Basis geschaffen – nun gelte es, diese konsequent weiterzuentwickeln.

Auch Geske Wehr, Vorsitzende der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen ACHSE e.V., machte deutlich, wie wichtig gute Rahmenbedingungen für Forschung aus Sicht der Betroffenen sind: „Hätten wir mehr Daten, könnten wir viel besser agieren!“, betonte sie und konstatierte: „Forschung schafft Hoffnung – und Hoffnung verändert Leben.“

Eva Luise Köhler Forschungspreis 2025 (Anerkennungspreis; v.l.n.r.): Geske Wehr (ACHSE), Eva Luise Köhler (Stifterin), Dr. Isabell Cordts (TUM Klinikum rechts der Isar), Prof. Dr. Thomas Klopstock (LMU), Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich (Vorstandsvorsitzende ELHKS), Dr. Ulrike Köhler (Stiftungsrätin ELHKS) und Prof. Josef Hecken (Vorsitzender Gemeinsamer Bundesausschuss G-BA) (c) Andrea Katheder

Anerkennung für diagnostische Exzellenz: Zusatzpreis für Forschungsprojekt „Decode MND“

Zusätzlich wurde in diesem Jahr auch ein Anerkennungspreis vergeben. Die Auszeichnung erhielten Dr. Isabell Cordts (Technische Universität München, TUM) und Prof. Dr. Thomas Klopstock (Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen, LMU) für ihr Projekt „DEtecting genetic Causes Of rare motor neuron DiseasEs – Decode-MND“. Es deckt mit Hilfe moderner Long-Read-Sequenzierung bislang unerkannte genetische Ursachen schwerer Motoneuronerkrankungen auf.

„Sie schlagen eine wichtige Brücke zwischen molekularer Forschung und klinischer Praxis“, betonte Eva Luise Köhler, „und schaffen so Perspektiven für Betroffene, die bisher oft über Jahre ohne Klarheit bleiben.

Eva Luise Köhler Lecture 2025

Gemeinsam für die Medizin von morgen

Mit dem von Moderator Heinz Wilkens angeleiteten „Eva Luise Köhler Lecture Talk“ erhielten die Gäste vertiefende Einblicke in die ausgezeichneten Forschungsarbeiten und einen Ausblick auf die nächsten Schritte der Preisträgerteams. Dr. Henry Wahlig bereicherte die Runde als Betroffener der Hereditären Spastischen Spinalparalys und Vertreter der Tom Wahlig Stiftung mit wertvollen Einblicken aus dem Leben mit einer Seltenen Erkrankungen.

Zur Sommersonnenwende setzte die Preisverleihung auch ein symbolisches Zeichen, wie Eva Luise Köhler unterstrich: „Ein Tag voller Licht – und ein guter Anlass, uns bewusst denen zuzuwenden, die noch zu oft im Schatten stehen. Denn gerade weil ihre Erkrankungen selten sind, brauchen sie unsere besondere Aufmerksamkeit.“ Sie lud die Anwesenden herzlich ein, sich der Mission der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung anzuschließen: Mut machen durch Forschung und gemeinsam Sorge dafür zu tragen, dass der medizinische Fortschritt alle erreicht. Der Abend endete mit anregenden Gesprächen und dem starken Signal: Forschung ist der Schlüssel zu mehr Gesundheit.

Die Preisträger

Prof. Dr. Didier Y. R. Stainier ist Direktor am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim und zählt zu den international führenden Wissenschaftlern im Bereich der Entwicklungsgenetik. Er studierte Biologie an der Brandeis University (USA) und promovierte an der Harvard University. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School leitete er über viele Jahre ein eigenes Labor an der University of California, San Francisco, bevor er 2012 an das Max-Planck-Institut in Deutschland wechselte. Sein wissenschaftliches Interesse gilt den genetischen und molekularen Mechanismen der Organentwicklung und -regeneration. Mit seinen Arbeiten zur sogenannten transkriptionellen Adaptation hat er ein grundlegendes biologisches Prinzip entdeckt, das potenzielle neue Therapieansätze für genetisch bedingte Erkrankungen eröffnet. Für seine Forschung wurde er vielfach ausgezeichnet, darunter mit mehreren renommierten ERC Advanced Grants. Professor Stainier war der erste Empfänger des Christiane Nüsslein-Volhard-Preises der European Zebrafish Society.

Dr. Christopher Dooley ist Postdoktorand in der Abteilung für Genetik der Entwicklung am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim. Seine Forschung konzentriert sich auf die molekularen Mechanismen genetischer Kompensation, insbesondere die transkriptionelle Adaptation. Im Rahmen des ausgezeichneten Projekts untersucht er, wie Mutationen in bestimmten Genen durch die Aktivierung funktionell ähnlicher Gene kompensiert werden können. Ziel ist, neue therapeutische Ansätze für seltene genetische Erkrankungen zu entwickeln.

Lara Falcucci ist Doktorandin in der Abteilung für Genetik der Entwicklung am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim. Sie ist Erstautorin einer Studie, die den Mechanismus der transkriptionellen Adaptation in menschlichen Muskelzellen bei Duchenne-Muskeldystrophie nachweist. Ihre Arbeit trägt wesentlich zum Verständnis der genetischen Kompensationsmechanismen bei und bietet potenzielle neue Ansätze für die Behandlung seltener genetischer Erkrankungen.


Dr. Isabell Cordts ist Ärztin und Wissenschaftlerin an der Klinik und Poliklinik für Neurologie des TUM Klinikums Rechts der Isar der Technischen Universität München. Sie absolvierte einen Postdoc an der Mayo Clinic in Jacksonville, Florida, USA, gefördert durch ein Walter-Benjamin-Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), bei dem sie Long-read RNA- und DNA-Sequenzierungstechnologien zur Erforschung der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) und verwandter Motoneuronerkrankungen einsetzte. Dr. Cordts leitet die Arbeitsgruppe Translationale Neurogenetik und widmet sich der translationalen Forschung mit einem Schwerpunkt auf seltene neurologische Erkrankungen. Ihre Arbeit wird unter anderem durch ein Hertie-Fellowship im Rahmen des Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience unterstützt. Darüber hinaus ist sie als Studienärztin in mehreren multizentrischen Studien tätig, die sich mit der Identifikation von Biomarkern und der Verbesserung diagnostischer Verfahren bei neuromuskulären Erkrankungen befassen.

Prof. Dr. med. Thomas Klopstock ist Facharzt für Neurologie und Oberarzt am Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er leitet das Zentrum für mitochondriale Erkrankungen am LMU Klinikum, ist Koordinator des Deutschen Netzwerks für mitochondriale Erkrankungen (mitoNET) und des internationalen Forschungsprojekts TIRCON (Treat Iron-Related Childhood-Onset Neurodegeneration), sowie Co-Sprecher aller vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbünde zu Seltenen Erkrankungen (Research4Rare). Zudem engagiert sich Professor Klopstock in zahlreichen weiteren Forschungsverbünden zu seltenen neurologischen Erkrankungen inklusive der Motoneuronerkrankungen Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und Hereditäre spastische Paraparese (HSP). Seine Arbeit konzentriert sich auf die Identifikation neuer Krankheitsgene, das Verständnis von Pathomechanismen, die Leitung von internationalen Registern und Studien zum natürlichen Verlauf sowie die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Ansätze für seltene neurogenetische Erkrankungen.

Impressionen der Verleihung des 17. Eva Luise Köhlerpreises am 20. Juni 2025 in Berlin

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