Liebe Leserinnen und Leser,
Seltene Erkrankungen sind häufig!
Dies mag zunächst paradox anmuten, da laut Definition weniger als fünf von zehntausend Menschen von einer als selten geltenden Erkrankung betroffen sind. Angesichts der großen Zahl von etwa 8.000 verschiedenen bekannten Erkrankungen betrifft dies jedoch allein in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen. Um es zu verdeutlichen: Vier Millionen Menschen, diese Anzahl ist vergleichbar mit der Einwohnerzahl des Bundeslandes Rheinland-Pfalz oder rund der Hälfte aller Schulkinder in Deutschland – ein Alter, das leider viele von einer Seltenen Erkrankung betroffene Kinder nicht erreichen. Denn für die meisten Erkrankungen gibt es noch keine Heilung, oft nicht einmal einen Therapieansatz. Sie verlaufen chronisch, gehen teilweise mit schweren Beeinträchtigungen einher und führen noch viel zu oft zum Tod.
Belastende Odysseen auf dem Weg zur Diagnose
Aufgrund der Seltenheit ist das Wissen zu vielen Erkrankungen gering, sind Informationen nicht verlässlich, Experten rar. Auf dem Weg zur richtigen Diagnose erleben Betroffene eine belastende Odyssee von Arzt zu Ärztin: Im Schnitt dauert es sieben lange Jahre, bevor sie wissen, was hinter ihrem Leiden steckt. Was das an persönlichem Leid in den Familien und zudem an Zeit, Aufwand und Kosten bedeutet, kann man erahnen. Diese einschneidenden Erfahrungen verbinden die Menschen mit Seltenen Erkrankungen, weil sie trotz ihrer ganz unterschiedlichen Krankheitsbilder vor sehr ähnlichen Problemen stehen. Es macht sie zu den Waisenkindern der Medizin.
Zentren für Seltene Erkrankungen sind wichtige Anlaufstellen
Zentren für Seltene Erkrankungen sind hier wichtige Anlaufstellen. Mittlerweile gibt es bundesweit schon 36 dieser Einrichtungen, in denen mit interdisziplinären Fallkonferenzen, dem Einsatz von Lotsen und vor allem mit viel Engagement und Beharrlichkeit aller Beteiligten über den fachspezifischen Tellerrand hinausgeschaut wird.
Diese und weitere Verbesserungen konnten nur gemeinsam erreicht werden: Seit mehr als 15 Jahren setzt sich die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für die Belange der Menschen mit Seltenen Erkrankungen ein. Wir tun dies zusammen mit engagierten Medizinern und Forscherinnen, mit anderen Stiftungen und fördernden Partnern und im Schulterschluss mit der Patientenselbsthilfe. Zu ihr gehören Eltern, die sich im Kampf um das Leben ihrer Kinder zusammengeschlossen haben oder selbst Betroffene, die beraten, Hilfesuchenden zur Seite stehen, mit ihrem Know-how unterstützen – und das oft ehrenamtlich, neben dem Beruf und der Pflege des Kindes oder ihrer Angehörigen. Unter dem Dach der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen ACHSE e.V., deren Schirmherrschaft mir ein Herzensanliegen ist, haben sich mittlerweile mehr als 130 Patientenorganisationen zusammengeschlossen. Sie geben den Betroffenen eine Stimme, bündeln deren Anliegen und tragen diese in die Politik, in das Gesundheitswesen, die Medizin.
Forschung schenkt Hilfe, Hoffnung und Heilung
Und auch in Wissenschaft und Forschung, wo der Schlüssel zum medizinischen Fortschritt liegt: Forschung schenkt Hilfe, Hoffnung und immer öfter auch Heilung. Daher zeichnet die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung in jedem Jahr ein beispielhaftes Vorhaben mit einem Forschungspreis für Seltene Erkrankungen aus. Und deshalb haben wir mit der Alliance4Rare ein Netzwerk auf den Weg gebracht, das den medizinischen Fortschritt und den immensen Forschungsbedarf zu Seltenen Erkrankungen in der Kinder- und Jugendheilkunde zusammenführt. Denn wir sind überzeugt: Wir müssen heute handeln, weil die Seltenen dringend auf die ‚Medizin von morgen‘ angewiesen sind.
Mehr über das Leben mit einer Seltenen Erkrankung erfahren Sie in diesem Magazin. Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen
Ihre Eva Luise Köhler
Das Editorial ist am 14. April 2023 im Magazin „Leben mit… Seltenen Erkrankungen“ erschienen. Die gesamte Ausgabe kann hier abgerufen werden.