Eva Luise Köhler im Magazin „bärenstark“, der Vereinszeitschrift von Herzenswünsche e.V.
Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf Gesundheit, ganz gleich wie häufig oder selten seine Krankheit ist – das ist die feste Überzeugung von Eva Luise Köhler: „Die Waisen der Medizin und ihre besonderen Belange werden im Gesundheitswesen jedoch nicht ausreichend berücksichtigt.“ Ein Interview über gezielte Forschungsförderung und Netzwerkarbeit für eine bessere medizinische Versorgung von Menschen mit Seltenen Erkrankungen.
bärenstark: Welche Ziele verfolgt Ihre Stiftung und was war Ihre Motivation, diese vor mehr als 15 Jahren gemeinsam mit Ihrem Mann zu gründen?
Eva Luise Köhler: Jeder Mensch hat das gleiche Recht auf Gesundheit, ganz gleich wie häufig oder selten seine Krankheit ist – das ist unsere feste Überzeugung. Die „Waisen der Medizin“ und ihre besonderen Belange werden im Gesundheitswesen jedoch nicht ausreichend berücksichtigt. Deshalb setzt sich die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung mit gezielter Forschungsförderung und Netzwerkarbeit für eine bessere medizinische Versorgung von Menschen mit Seltenen Erkrankungen ein. Als mein Mann und ich die Stiftung 2006 ins Leben gerufen haben, kannten wir aus vielen Begegnungen Herausforderungen wie jahrelange Odysseen von Klinik zu Klinik und die verzweifelte Suche nach Antworten. Wir haben aber auch erleben dürfen, was es bedeutet, wenn endlich eine Diagnose gestellt werden kann, es Hoffnung auf Linderung und manchmal sogar auf Heilung gibt. Angesichts des immensen medizinischen Fortschritts, den wir aktuell erleben, ist es dringend notwendig, die Forschung auch auf dem Gebiet der Seltenen Erkrankungen aktiv voranzutreiben.
bärenstark: Auch Kinder und Jugendliche stehen im Fokus Ihres Engagements. Mit welchen Problemen sind die Familien konfrontiert?
Eva Luise Köhler: Seltene Erkrankungen betreffen in acht von zehn Fällen Kinder und Jugendliche. Jedes Jahr sterben allein in Deutschland über tausend Kinder. Hunderttausende werden niemals ein selbstständiges Leben führen können, weil wirksame Therapieoptionen fehlen. Die Familien stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die große emotionale, finanzielle, physische und soziale Belastungen mit sich bringen. Hier ist eine ganzheitliche Herangehensweise gefordert, eine Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg. Hoffnung bietet gezielte Forschung: Mit unserer Forschungsinitiative Alliance4Rare investieren wir in pädiatrische Projekte, die mit innovativen Methoden und modernen Verfahren nie dagewesene Behandlungsmöglichkeiten eröffnen. Wir sind dankbar für wunderbare Wegbegleiter wie Herzenswünsche e.V., die sich ebenso großzügig wie großherzig unserer Mission anschließen. Gemeinsam tragen wir Sorge dafür, dass Kinder mit Seltenen Erkrankungen am medizinischen Fortschritt teilhaben.
bärenstark: Was braucht es aus Ihrer Sicht für eine erfolgreiche Prävention bei Seltenen Erkrankungen?
Eva Luise Köhler: Früh erkennen, um bestmöglich (be)handeln zu können – für die Seltenen Erkrankungen gilt dieser Anspruch in besonderem Maße. Eine zeitnahe Diagnose, die unmittelbare Einleitung der erforderlichen Therapien und kompetente Begleitung sind oft entscheidend für den Krankheitsverlauf. Dabei ist zu bedenken, dass sich das Leben mit einer Seltenen Erkrankung nicht nur in Laboren, Arztpraxen und Krankenhäusern abspielt. Man lässt die Erkrankung nicht dort, sondern lebt mit ihr zu Hause, in der Familie und im Freundeskreis ebenso wie in Schule, Beruf und Sportverein. Eine gute Versorgung bindet alle Lebensbereiche ein und kann auf diese Weise im Sinne der so genannten Tertiärprävention Krankheitsfolgen mildern und die Lebensqualität steigern.
bärenstark: Sie sind auch Schirmherrin der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE e.V.), die ein Netzwerk von und für Menschen mit chronischen seltenen Erkrankungen und deren Angehörige ist. Welche Unterstützung kann der Verein vor allem Kindern und Jugendlichen anbieten?
Eva Luise Köhler: ACHSE e.V. unterstützt Betroffene und Angehörige auf vielfältige Art und Weise. Einige Angebote richten sich gezielt an Kinder und Jugendliche, etwa das Kooperationsprojekt „Dank Avatar wieder schulstark“: Mit kleinen, liebevoll gestalteten Streamingboxen in Form von Köpfen wurde es Kindern und Jugendlichen ermöglicht, auch während der Corona-Pandemie am Unterricht teilzunehmen. So waren Schülerinnen und Schüler, die aus gesundheitlichen Gründen zu Hause oder in der Klinik bleiben mussten, weiter Teil der Klassengemeinschaft. Ein wichtiger sozialer Aspekt, denn die Pandemiezeit war für Kinder und Jugendliche mit Seltenen Erkrankungen und deren Familien besonders belastend. Eine von unserer Stiftung finanzierte Studie hat das wissenschaftlich aufgearbeitet und konkrete Handlungsempfehlungen formuliert. Deutlich wurde auch hier: In fordernden und belastenden Lebenssituationen ist eine enge und liebevolle Begleitung der Kinder besonders wichtig. Ein herzliches Dankeschön an die große „Herzenswünsche‐Familie“ und das Münsteraner Team um Wera Röttgering. Sie schenken seit nunmehr drei Jahrzehnten unzähligen kranken Kindern und deren Familien Mut, Kraft und Freude. Ein wunderbares Engagement!
Hier ist die gesamte Ausgabe der Zeitschrift bärenstark abrufbar.