CORD-MI 2022: Symposium zur Digitalisierung im Bereich der Seltenen Erkrankungen
„Digitale Zusammenarbeit für Diagnose und Therapie im Bereich Seltene Erkrankungen“ – unter diesem Titel fand am 1. und 2. Dezember 2022 das Symposium der Collaboration on Rare Diseases der Medizininformatik-Initiative (CORD-MI) im Kaiserin-Friedrich Haus in Berlin statt. Unter den Referierenden war auch Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich, Vorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen.
Nach Einschätzung von Dr. Josef Schepers, Gesamtkoordinator von CORD-MI, konnte in der auslaufenden Aufbau- und Vernetzungsphase der Medizininformatik-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „das Glas für Fortschritte bei der IT-Unterstützung für Diagnose und Therapiewahl halb gefüllt werden“. Er machte deutlich, dass nachfolgende Initiativen, Programme und Projekte vor der großen Verantwortung stehen, das Erreichte aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Denn: „Präzises Wissen kann in Seltenen Fällen Leben retten und selten ist häufig.“
Die Beiträge zur Veranstaltung waren ebenso zahlreich wie vielfältig – und ganz klar in ihrer gemeinsamen Aussage: Präzisionsmedizin erfordert insbesondere im Bereich der Seltenen Erkrankungen präzise, standardisierte und angemessen vernetzte Dokumentationen. Dabei spielt nicht nur die Orpha-Kodierung, die nach langem Ringen im April 2023 im stationären Bereich verpflichtend wird, eine wesentliche Rolle. Auch die Phänotypisierung mit der Human Phenotype Ontology (HPO) und die Einbindung von krankheitsspezifischen Zusatzdokumentationen wie Forschungsregistern sind wichtige und wertvolle Instrumente.
Ein solches ist das von der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung initiierte Nationale Register für Seltene Erkrankungen (NARSE), das in Kürze startet. Es wird erstmals verlässliche Zahlen über von ultraseltenen Erkrankungen Betroffene in Deutschland erheben. Professor Holger Storf vom Frankfurter Institut für Medizininformatik (IMI), der die technische Umsetzung mit der OSSE-Registerplattform begleitet hat, erläuterte den niederschwelligen Ansatz des Registers mit kleinem Datensatz und der Eingabe per WebClient. Er wies darauf hin, dass mit dem Start des NARSE Forschungsregister mit longitudinalen Daten keinesfalls überflüssig werden. Auch sie erfüllen wichtige Aufgaben wie etwa die Erfassung von Daten, die im ambulanten Sektor anfallen.
Einigkeit bestand in der Einschätzung, dass Deutschland auf dem Feld der Medizininformatik noch viele Hausaufgaben zu erledigen hat. Vor allem hinsichtlich der Digitalisierung im ambulanten Bereich braucht es entschlosseneres Handeln, um den Bedürfnissen von Menschen mit Seltenen Erkrankungen besser gerecht zu werden. Professor Grüters-Kieslich hielt in Bezug auf die mangelnde Datengrundlage fest: „Es nützt nichts, wenn wir uns in Europa an Initiativen beteiligen, aber nur ein schwacher Partner sind. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Europa das leistet, was wir auf nationaler Ebene bislang nicht geschafft haben. brauchen. Wir müssen aufholen und als starker Partner in diesen europäischen Netzwerke kooperieren.“ Wie das gehen kann, zeigen im Rahmen der Medizininformatik-Initiative geschaffene Strukturen und Instrumente: So erleichtern beispielsweise das Forschungsdatenportal Gesundheit (FDPG) und das Medizininformatik-Konsortium MIRACUM das Auffinden von geeigneten Patientinnen und Patienten für klinische Studien.
Die große Bedeutung von Netzwerken im Bereich der Seltenen Erkrankungen und der konkreten Einbindung von Patientinnen und Patienten in Forschung und Versorgung wurde sowohl in den Vorträgen als auch in Gesprächen am Rande der Veranstaltung immer wieder betont. „Durch Vernetzung untereinander entstehen neue Fragestellungen, aber eben auch neue Erkenntnisse. Auf die sind wir angewiesen, weil sie in der klinischen Routine oft nicht dokumentiert werden“, erläuterte Annette Grüters-Kieslich.
Unabdingbar für die wichtige Vernetzung ist die Diagnosestellung, stellte Dr. Christine Mundlos, stellvertretende Geschäftsführerin der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen, klar. Eine Diagnose sei für die Betroffenen ein wichtiger Meilenstein, da sie Orientierung gibt und die Bildung von Netzwerken ermöglicht. Zudem ließen sich mitunter Ansprüche gegenüber Leistungserbringern nur mit einer Diagnose geltend machen, erklärte Christine Mundlos und brachte es auf den Punkt: „Diagnose = dem Suchen ein Ende und dem Leben einen neuen Anfang bereiten.“
Auf eine Diagnose folgt die Therapie, diesem wichtigen Thema war eine eigene Session gewidmet. Dass den rund 8.000 bekannten Seltenen Erkrankungen nur rund 200 zugelassene Orphan Drugs gegenüberstehen, zeigt die Probleme in der Versorgung auf. Hier braucht es verstärkte Anstrengungen, betonte Prof. Annette Grüters-Kieslich. Am Beispiel der monogenen Adipositas machte die erfahrene Kinderärztin deutlich, dass die Entwicklung gezielter Pharmakotherapie aufgrund des Fortschritts in der Forschung möglicher ist als je zuvor und funktioniert: „Es gibt viele andere Möglichkeiten neben der Gentherapie.“
Da diese Therapien jedoch kostenintensiv sind, sollte – auch mit Blick auf die öffentliche Diskussion bei Krankheiten wie der spinalen Muskelatrophie- über neue Wege nachgedacht werden. Ein solcher Ansatz könne ein aus öffentlichen Geldern (mit)finanzierter Fonds sein, der ein Mitspracherecht der öffentlichen Fördermittelgeber bei der Preisgestaltung ermöglicht, aber auch die Kriterien für die Priorisierung von bestimmten Krankheiten transparent macht.
„Dies ist auch eine politische Aufgabe“, merkte Prof. Grüters-Kieslich an und appellierte abschließend an die auf dem Symposium anwesenden Vertreterinnen und Vertreter von Bundesgesundheitsministerium sowie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung: „Bald ist Weihnachten: Mein Wunsch ist eine Joint Action im Bereich der Seltenen Erkrankungen. Wir müssen Ihre beiden Häuser viel enger zusammenbringen, denn Forschung und Versorgung sind auf dem Gebiet der Seltenen Erkrankungen untrennbar!“