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Veranstaltung

„Rethinking Rare“: Rückblick auf das 8. Rare Disease Symposium der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung 2/2

Das gemeinsame Nach-, Weiter- und um die Ecke-Denken stand im Mittelpunkt des 8. Rare Disease Symposiums der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung. Rund 150 Teilnehmende waren der Einladung nach Berlin am 3. und 4. Mai 2024 gefolgt. Zusammen mit inspirierenden Referentinnen und Referenten wurde der weite Bogen der Seltenen Erkrankungen aufgespannt und diskutiert, wie die Medizin von morgen den besonderen Bedürfnissen der Betroffenen gerecht werden kann.

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Programmflyer

Rückblick Tag 2: Samstag, 4. Mai 2024

Session 4: Strukturellen Herausforderungen begegnen

Zum Auftakt des zweiten Symposiumstages präsentierte Dr. Heike Aichinger Erkenntnisse eines Gutachtens des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI), das im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) durchgeführt wurde. Ziel der Untersuchung war es, die aktuelle Versorgungs- und Lebenssituation von Menschen mit seltenen Erkrankungen in Deutschland zu untersuchen und Handlungsempfehlungen für die weitere Arbeit des Nationalen Aktionsbündnisses für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) zu formulieren. Die Studie zeigte Fortschritte bei Diagnostik, Kodierung und dem Aufbau spezialisierter Zentren. Deutliche Defizite zeigten sich jedoch in der Primärversorgung und psychosozialen Unterstützung. Acht Handlungsfelder mit 19 Empfehlungen wurden identifiziert, darunter bessere Datenbasis, transparente Finanzierung und integrierte psychosoziale Unterstützung. Zentrale zukünftige Aufgaben sind neben der nachhaltigen Finanzierung der Zentren sowie deren Anbindung an die Primärversorgung vor allem auch die Bereitstellung und Nutzung digitaler Gesundheitslösungen. Die Implementierung von Registern scheint hierbei essentiell.

Prof. Dr. Boris Zernikow von der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln stellte anschließend das neue, vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördertesProjekt B(e) NAMSE vor. Es zielt darauf ab, die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Seltenen Erkrankungen in Deutschland zu verbessern. Fünf Universitätskliniken erproben im Rahmen von B(e) NAMSE neue Versorgungswege, darunter Telemedizin und einen strukturierten Übergang von der Kinder/Jugend- in Erwachsenenmedizin. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt von der Universität Witten/Herdecke. Das Innovationsvorhaben soll Prozesse optimieren und Reibungsverluste minimieren, um die Lebensqualität der betroffenen Kinder zu steigern. Begleitet von einem Evaluationsprojekt soll B(e) NAMSE die Grundlage für eine neue Versorgungsform in den B-Zentren schaffen.

Dr. Bernadette Klapper vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe stellte in ihrem Referat „Seltene Erkrankungen – ein Fall für nurse practitioner?“ überzeugend dar, dass das deutsche Gesundheitssystem in seinen Grundfesten vom Fachkräftemangel in der Pflege konkret bedroht ist und insbesondere im Bereich der Qualifizierung von Pflegekräften im internationalen Vergleich beschämend zurück liegt. Ein arbeitsteiliges Zusammenwirken von speziell ausgebildeten Pflegefachkräften mit Medizinerinnen und Mediziner ist unter diesen Bedingungen nicht möglich ist. In von ihr skizzierten Szenarien einer vernetzten Versorgung durch nurse practioner und community health nurses könnten viele Probleme in der Koordinierung und wohnortnahen Erbringung von Leistungen überwunden werden. Dies käme insbesondere Patientinnen und Patienten mit Seltenen Erkrankungen, die aufgrund ihrer komplexen Krankheitsbilder spezielle Versorgung benötigen, zugute.

Dass Versorgung und Forschung zu Seltenen Erkrankungen untrennbar miteinander verbunden sind, wurde im anschließenden Vortrag von Prof. Dr. Tobias E. Huber, UKE Hamburg, zum Forschungsverbund Research for Rare deutlich. Er betonte die entscheidende Rolle von kollaborativen Forschungsnetzwerken. Diese bündeln Expertise, Patientenregister und klinische Studien, um Herausforderungen wie genetische Komplexität und begrenzte Ressourcen zu meistern. Anhand von Beispielen, darunter ein von der Else Kröner Fresenius Stiftung gemeinsam mit der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung gefördertes Clinician Scientist Programm zu Nierenerkrankungen, zeigte Professor Huber, welche Erfolge durch (internationale) Kooperation und enge Zusammenarbeit bei der Verbesserung von Diagnoseverfahren und der Entwicklung neuer Therapien möglich sind. Sein Appell: Um das Leben der Betroffenen zu verbessern und das medizinische Wissen zu erweitern, muss die patientenorientierte Forschung im Rahmen internationaler Kooperationen gezielt, politisch und finanziell nachhaltig gefördert und ausgebaut werden.

 

Dr. Heike Aichinger
Prof. Dr. Boris Zernikow, Universität Witten/Herdecke
Dr. Bernadette Klapper, DBfK
Prof. Dr. Tobias B. Huber, research4rare

Zum Abschluss des Symposiums waren die Teilnehmenden eingeladen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen in zwei interaktiven Workshops einzubringen:

Workshop 1: „Was können und wollen Betroffene in der Forschung leisten?“

Moderiert von Dr. Franziska Krause, Berlin Institute of Health, und Dr. Corinna Klingler, Universität Potsdam, beleuchtete dieser Workshop das Selbstverständnis und das Potenzial der Einbindung von Betroffenen in die Forschung zu Seltenen Erkrankungen. In der Diskussion wurden verschiedene Wege der Beteiligung aufgezeigt und diskutiert, etwa die Bereitstellung von wertvollen Daten wie im Nationalen Register für Seltene Erkrankungen oder eine Mitwirkung an Entscheidungsprozessen in Forschungsprojekten. Diskutiert wurden aber auch die Grenzen der Mitwirkung insbesondere in Bezug auf Ressourcen und Repräsentativität. Die intensive Diskussion zeigte auf: Die Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Betroffenen ist essentiell, um relevante Erkenntnisse zu Seltenen Erkrankungen zu gewinnen. Ein strukturierter Dialog und institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit bilden eine wichtige Grundlage, auf der patientenorientierte Forschung erfolgreich vorangetrieben werden kann. Übersicht der Workshop-Ergebnisse.

Workshop 2: „Zertifizierung der Zentren für Seltene Erkrankungen – Wo stehen wir in der Versorgung?

Der Workshop wurde von Prof. Dr. Alexander Münchau, UKSH Lübeck, und Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich, Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung, moderiert, die zunächst den aktuellen Stand der Zentrenzertifizierung darlegten: Derzeit gibt es 37 NAMSE A-Zentren im SE-Atlas, von denen 21 bereits zertifiziert sind oder sich im Zertifizierungsverfahren befinden. Unter diesen befinden sich 7 der 8 Zentren, die am Projekt TRANSLATE-NAMSE teilgenommen haben. Ziel des Workshops war es zu prüfen, ob sich hinsichtlich der Zertifizierungskriterien aus dem 2019 zwischenzeitlich Überarbeitungsbedarf ergeben hat.

Die diskutierten Zertifizierungskriterien für die NAMSE A-Zentren waren:

Strukturen der Zentren (Satzung, Lotsen, Fallkonferenzen, Vernetzung mit anderen Zentren, Personalausstattung, Zusammenarbeit mit Selbsthilfe)

  • Die Teilnehmenden halten die Kriterien zur Beurteilung der Strukturqualität für angemessen.

Diagnostik und Behandlung (Koordination der Diagnostik, Vorhaltung von Spezialdiagnostik, Weiterleitung, Konzept unklarer Diagnosen, Behandlungsempfehlungen, Orphacodierungen)

  • Die Teilnehmenden wünschen sich eine präzisere Formulierung hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe und weisen darauf hin, dass die Orphacodierungen im ambulanten Bereich nicht umgesetzt sind.

Qualitätsanforderungen nach den Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Konkretisierung der besonderen Aufgaben von Zentren

  • Die Teilnehmenden finden die Redundanz mit den NAMSE-Kriterien unpraktisch und wünschen sich eine erklärende Darstellung in den Kriterien.

Aufwand der Zertifizierung (Zeit, Umfang, Audit, Kosten)

  • Die Teilnehmenden empfinden die Zertifizierung als aufwändig, aber zugleich auch als hilfreich, um Schwachstellen zu erkennen. Das Audit wird als konstruktiv angesehen und insbesondere der Input der Patienten als wichtig erachtet. Die Kosten werden als angemessen empfunden.

Fazit: Insgesamt besteht kein inhaltlicher Überarbeitungsbedarf der Kriterien und des Ablaufs der Zertifizierung. Der Zertifizierungskommission wird der redaktionelle Überarbeitungsbedarf mitgeteilt.

Prof. Dr. Grüters-Kieslich und Porf. Dr. Münchau berichteten, dass die Zertifizierung der fachspezisischen B-Zentren aktuell in Vorbereitung ist und bereits angefragt werden kann. Sobald genügend Auditoren zur Verfügung stehen, wird der Prozess beginnen. Unklar ist noch, wieviele B-Zentren an einem Standort gleichzeitig auditiert werden können. Für die Standorte eines Europäischen Referenznetzwerks (ERN) wird eine Anerekennung auf schriftlicher Basis (ohne Audit) möglich sein. Dabei werden nur Kriterien erfragt, die nicht Bestandteil der ERN-Zertifzierung sind.

Die Teilnehmenden baten darum, dass die Anforderungen der Vernetzung mit anderen Zentren, die Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe sowie die Fragen zur Forschung präzise formuliert werden.

Hier finden Sie den Rückblick auf den ersten Veranstaltungstag: Rückblick 8. Rare Disease Symposium 1/2

Weitere Bilder der Fotografin Andrea Katheder finden Sie hier: Album 8. Rare Disease Symposium

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